Dresdens Partnerstadt Breslau/Wrocław – eine Spurensuche

In loser Folge wollen wir Ihnen an dieser Stelle „polnische Spuren in Dresden und Sachsen“ vorstellen. Unser langjähriger Präsident Dr. Wolfgang Nicht hat in den vergangenen Jahren zu etwa 440 Orten in ganz Sachsen Nachforschungen angestellt; ein Teil dieser Recherchen fand auch seinen Niederschlag in der Broschüre „Polacy w historii Drezna – Die Polen in der Geschichte Dresdens“ (Dresden 2014). Der Begriff Gedenkorte wird dabei ziemlich weit gefasst. Vor allem wollen wir anregen, in der eigenen Region diesen Spuren nachzugehen.
(Anmerkungen und Quellenangaben sind hier weggelassen, können aber nachgefragt werden.)

  • Gedenkort             Breslauer Straße, 01067 Dresden
  • Gedenkort             Neues Rathaus, 01067 Dresden
  • Gedenkort             Grab von Wanda Bibrowicz
  • Gedenkort             Grab von Wanda Bibrowicz
  • Gedenkort             Breslauer Zwerg
  • Gedenkort             (ehem.) Restaurant „Wrocław“

Unter Dresdens Partnerstädten spielt die niederschlesische Metropole Wrocław eine wirklich heraus­ragende Rolle. Sie war die erste Partnerstadt Dresdens; der Partnerschaftsvertrag jährt sich in diesem Monat zum fünfundfünfzigsten Mal. Also suchen wir einmal Spuren von Breslau/Wrocław in Dresden.

Seit wenigen Jahren gibt es eine Breslauer Straße in Dresden – die nahezu niemand kennt. Man findet Sie in der Nähe des Dresdner Hauptbahnhofs, wo sie vom Wiener Platz in Richtung Altstadt verläuft. Eine kleine Straße, eher ein Durchgang zwischen neuen Kaufhausblocks, erhielt im April 2005 den Namen Breslauer Straße. Dies war keine Rückbenennung. Vor 1945 verlief dort die Carolastraße. In ihrer heutigen Form entstand die Straße erst durch die Bebauung nach 2000.

Für die Bedeutung gerade dieser Partnerschaft ist die Widmung einer so nebensächlichen abseitigen Straße etwas dürftig. Andererseits ist es eine Parallelstraße zur St. Petersburger und zur Budapester Straße. Vielleicht liegt darin die Auswahl dieser Straße. In einem Brief an die DPG Sachsen schrieb der Beigeordnete für Stadtentwicklung „… dass die deutsch-polnischen Beziehungen mit der Straßen­benennung ‘Breslauer Straße’ im Bereich des Wiener Platzes am 28.04.2005 durch einen Stadtrats­beschluss in besonderer Weise hervorgehoben wurden.“

Und da sind wir bei einem Dilemma. Unsere Partnerschaft heißt Breslau; auch polnische Partner benutzen, wenn sie deutsch sprechen, den alten deutschen Namen. Aber wenn man den Namen Breslauer Straße hört, denkt man doch an die ehemals deutsche Stadt, an ein Stück deutscher Geschichte in Mittelosteuropa. Ich glaube, dass nur ein geringer Teil der Dresdner an die schöne stolze polnische Stadt, die in den letzten zwei Jahrzehnten so erblühte, und an die Zusammenarbeit unserer beiden Städte denkt. Schön, dass es die Breslauer Straße gibt. Aber eine Hervorhebung der engen deutsch-polnischen Beziehungen ist sie wohl kaum.

Als 1962 – 1965 nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg der Festsaalflügel des Neuen Rathauses wieder­errichtet wurde, bekam die Fassade ihr heutiges Gesicht. Über der Goldenen Pforte, dem repräsen­tativen Eingang zum Festsaal, befinden sich eine Reihe von Stadtwappen von Partnerstädten bzw. befreundeten Städten, unter ihnen auch das Breslauer Stadtwappen. Diese Wappen in Sandstein schuf R. Wittig.

Wir sehen hier das historische und heute wieder aktuelle Wappen. Das ist schon etwas verwunder­lich, nutzte doch die Stadt während der Zeit der Volksrepublik von 1948 bis 1990 ein anderes Wappen: geteilt, links der halbe polnische Adler und rechts der halbe schlesische Adler, beide natürlich ohne Krone. Warum nutzte man am Dresdner Rathaus nicht dieses Wappen und griff auf das Wappen zurück, das Breslau von 1530 bis 1938 führte? Vielleicht wollte man in der DDR Anklänge an das alte schlesische Wappen vermeiden?

Nun führt die Stadt an der Oder seit 1990 wieder das historische viergeteilte Wappen mit dem Kopf Johannes des Täufers im Herzschild, und so zeigt es sich uns auch am Dresdner Rathaus.

Breslau und Dresden sind auch durch eine bedeutende Künstlerin verbunden, die in beiden Städten wirkte (wobei wirken hier einen Doppelsinn hat). Auf dem Friedhof neben der Kirche „Maria am Wasser“ in Hosterwitz findet man das Grab der Eheleute Max Wislicenus und Wanda Wislicenus-Bibrowicz. Wanda Bibrowicz wurde 1878 in der Nähe von Posen/Poznań geboren. Sie wurde in der Malerei und im Kunsthandwerk, insbesondere in der Bildwirkerei, ausgebildet. Berühmt wurde sie seinerzeit als Gründerin der Schlesischen Werkstatt für Kunstweberei in Oberschreiberhau/Szklarska Poręba, die sie von 1911 bis 1919 leitete. Auf Betreiben des berühmten Architekten Hans Poelzig ging sie 1919 nach Dresden und gründete mit Max Wislicenus, ihrem späteren Ehemann die „Werkstätten für Bildwirkerei Schloß Pillnitz“. Daneben übernahm sie die Leitung einer Webklasse an der Dresdner Akademie für Kunstgewerbe. Werke des Ehepaares Wislicenus findet man zum Beispiel im Haus der Heimat Freital.

Welche große Bedeutung Wanda Bibrowicz für Breslau hat, zeigt die Tatsache, dass am Gebäude der ehemaligen „Königlichen Hochschule für Kunst und Kunsthandwerk“ zu ihren Ehren eine Gedenktafel angebracht wurde. In dieser Hochschule war sie sowohl Studentin als auch später Dozentin.

Ein Ort, den in den 1960er bis 1990er Jahren jeder Dresdner mit der Partnerstadt verband, war die Gaststätte Wrocław mit der Tanzbar Mazurka. Die Spezialitätengaststätte ist verschwunden, ebenso der Name. Schade.

Aber inzwischen ist Dresden um eine weitere Erinnerung an die niederschlesische Hauptstadt reicher: als Geschenk der Stadt Breslau erhielten wir einen Breslauer Zwerg. Ein Zwerg? Wer in den letzten zehn Jahren in Breslau war, hat sie ganz gewiss getroffen. Im ganzen Stadtbild findet man die kleinen lustigen Kerle, die „Krasnoludki“, die Männchen mit den roten Mützen – dies bedeutet das polnische Wort. Die Bronzefiguren sind mit Bedacht für den jeweiligen Ort gewählt: da sitzt einer angekettet in der Ulica Więźnienia (der Gefängnisstraße), da steht einer mit der Hellebarde in einer Nische der Stadtpolizei, vor einer Gaststätte isst einer seine Pirogge und ein anderer klettert frech auf den Laternenmast.

Ihre „Geburt“ verdanken die Zwerge einer politischen Aktion in den 1980er Jahren. Mit Parolen „Klein ist schön“ oder „Zwerge aller Länder vereinigt Euch“ ging die Orangene Alternative auf die Straße. Man stellte die politische Situation, ja die politische Ordnung in Frage, und das mit Schlitzohrigkeit und Humor. Das Zwergenkostüm der Studenten war der Schutzschild. Nicht ernst genommen werden und doch ganz ernsthafte Ziele haben, das war Widerstand auf Breslauer Art. Daran erinnern all die Zwerge in Breslau, seien es die kleinen Bronzefiguren oder auch nur ein Graffiti oder die Bilder auf Souvenirs.

Solch ein Zwerg reiste zum Jubiläum der Städtepartnerschaft nach Dresden. Es ist ein Geschenk der Partnerstadt und wurde am 17.09. durch den Breslauer Stadtpräsidenten Dr. Rafał Dutkiewicz der Frau Oberbürgermeister Helma Orosz überreicht. Und nun müssen wir überlegen, wo gerade dieses Individuum hinpasst, wo dieser kleine Breslauer sich in Dresden wohlfühlen könnte. So sage ich heute nur „Serdecznie witamy, krasnoludku – Herzlich willkommen, kleiner Mann.“

Wolfgang Nicht, 25.09.2014