Gedenkorte:
- Lager Hellerberge, 01127 Dresden, Radeberger Straße
- St. Pauli-Friedhof , 01127 Dresden, Hechtstraße 78
- „Ort 62“ des Projektes Gravuren des Krieges – Mahndepots in Dresden
- „Ort 67“ des Projektes Gravuren des Krieges – Mahndepots in Dresden
Als ab Herbst 1935 die Autobahn Dresden-Bautzen begonnen wurde, entstand auch ein Barackenlager für die vielen Bauarbeiter, die im Norden Dresdens zusammengezogen wurden. So entstand das Barackenlager Hellerberge an der Dr.-Todt-Straße, dem heutigen Hammerweg. Nach dem Abschluss der Bauarbeiten war die Geschichte dieser vier Baracken nicht beendet. Das Lager wurde von der Zeiss-IKON gekauft oder gepachtet und zunächst als reines Materiallager genutzt.
Die Hellerberge im Norden Dresdens haben aber eine mehrfache grausame Geschichte. Ein Barackenlager war die letzte Station Dresdner Juden vor dem Transport nach Auschwitz. Darüber schreibt auch Viktor Klemperer in seinem Tagebuch.
An das „Judenlager Hellerberge“ wird heute erinnert durch
– eine ausführliche Texttafel am Eingang des St. Pauli-Friedhofs und
– an der Radeberger Straße 12a durch den „Ort 09“ des Projektes Gravuren des Krieges – Mahndepots in Dresden
Schon kurz nachdem die letzten Dresdner Juden nach Auschwitz deportiert worden waren, erfuhr das Lager eine neue Nutzung. Es wurde das Entbindungsheim Kiesgrube beziehungsweise die Ausländerkinder-Pflegestätte Kiesgrube. „Pflegeheim“ ist ein grausam euphemistischer Name, wenn man an die Situation, die Ziele und Praxis des Lagers denkt. Verwaltet wurde das Heim von der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Hier mussten zwischen 1943 und 1945 schwangere Zwangsarbeiterinnen aus Polen, Russland, der Ukraine, vereinzelt auch aus Italien und Frankreich, entbinden und/oder ihre Säuglinge zurücklassen. Die Mütter mussten sofort wieder Zwangsarbeit leisten. Das betraf auch Schwangere bzw. Mütter aus der Umgebung von Dresden, die z. B. auf den Dörfern in der Landwirtschaft tätig waren. Die Überlebensrate der Säuglinge war gering, die Kinder starben einen qualvollen Tod; nachweislich waren es 238 Kinder, die starben. Wie viele geboren wurden, ist nicht bekannt. Das Dresdner Heim war eine von etwa 400 derartigen Einrichtungen in ganz Deutschland.
Die „AG 13. Februar“, Dresden, hat dazu recherchiert:
Nach der Deportation der jüdischen Lagerinsassen konnten Ende März 1943 die fünf Baracken der Zeiss-Ikon AG wieder belegt werden. Das Unternehmen vermietete sie sofort neu: Die Deutsche Arbeitsfront richtete hier im April 1943 das »Entbindungsheim Kiesgrube« für Zwangsarbeiterinnen und eine »Auslandskinderpflegestätte« für deren Kinder ein. Bis Ende 1942 waren schwangere Zwangsarbeiterinnen in ihre Heimat rückgeführt worden, so dass sie für die Produktion ausfielen. Angesichts des sich verschärfenden Arbeitskräftemangels erwies sich dies zunehmend als Problem; die Rückkehr der Frauen wurde nunmehr verboten.
Bis zum April 1945 kamen in den Baracken des Lagers an der Dr.-Todt-Straße 497 Kinder zur Welt; ihre Mütter stammten zumeist aus der Sowjetunion oder Polen. Die Neugeborenen wurden rassisch selektiert: Kinder »minderrassischer« Väter verblieben im Lager, »gutrassische« Kinder wies man in reguläre Kinderheime ein. Die Mütter hatten an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren und für die Zwangsunterbringung ihrer Kinder zu zahlen.
Als Folge von Mangelernährung, fehlender Hygiene und schlechter Pflege starben mehr als 40 Prozent der im Lager verbliebenen Kinder noch in ihrem ersten Lebensjahr.
Auf dem St. Pauli-Friedhof befindet sich im Gräberfeld P ein Sammelgrab von 238 Kindern. Die meisten wurden in den Jahren 1943 bis 1945 als Säugling dort bestattet. Die Sterbebücher der Gemeinde Klotzsche geben darüber Auskunft. Die genannten Todesursachen sind lapidar: Lungenentzündung, angeborene Schwäche, Darmkatarrh. Doch als eigentliche Todesursache müsste da stehen: Mord aus rassistischen Motiven.
Der schlichte Gedenkstein an der Friedhofmauer (zur Hechtstraße hin) trägt die Aufschrift:
HIER RUHEN
KINDER DER BÜRGER
DER POLNISCHEN REPUBLIK
UND KINDER DER BÜRGER
DER U.D.S.S.R.
1939 – 1945
Der Stein scheint aus den frühen 1950er Jahren zu sein, worauf die Bezeichnung ‚U.D.S.S.R.’ (anstelle von ‚UdSSR’ oder ‚sowjetischer Bürger“) hinweist. Dazu passt auch die Formulierung ‚der Polnischen Republik’ anstelle von ‚der Volksrepublik Polen’ oder ‚Volkspolen‘, da Polen die Bezeichnung Volksrepublik erst ab 1952 offiziell führte.
An dies dunkle Kapitel Dresdner und deutscher Geschichte erinnerte im November 2013 der MDR mit dem Film „Wiegenlied in den Tod. Himmlers Babylager im Dresdner Norden“.
Mit diesem Ort und diesem Geschehen sind zwei Mahndepots verbunden: während der Ort 62 auf der Radeberger Straße 12a an das Entbindungsheim Kiesgrubeerinnert, ist der im November 2012 unmittelbar am Eingang zum St. Pauli-Friedhof eingelassenen Ort 67 der Erinnerung an die hier beigesetzten Kinder des Entbindungsheim Kiesgrube gewidmet. Schon länger wird mit dem Mahndepot 9 an das Judenlager Hellerberge erinnert.
Dr. Wolfgang Nicht, Februar 2014